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Verstummte Stimmen in Ägypten

Der Tod des 24-jähri­gen Fotografen und Video­mach­ers Shady Habash zeigt, wie es in Ägypten um die freie Mei­n­ungsäußerung ste­ht. Der junge Kün­stler starb in einem Gefäng­nis in Kairo nach­dem er an einem regimekri­tis­chen Musikvideo mit­gewirkt hat.

»Du hast in Gärten gelebt und wir in Gefäng­nis­sen […].
Statt den Ter­ror zu bekämpfen hast du gegen Wind­mühlen gekämpft.
Die arschkriechen­den Medi­en haben gesagt,
dass du der ulti­ma­tive Kämpfer bist,
der uns alle durch­füt­tern wird.« 

aus dem Lied »Bal­a­ha« von Ramy Essam

Im Stech­schritt marschiert Ramy Essam an einem Con­tain­er ent­lang. Sein Blick ist nach vorne gerichtet, sein Kör­p­er anges­pan­nt. Seine lan­gen, dun­klen Lock­en, die orangene Son­nen­brille und das weiße Fell, dass er sich über die Schul­ter geschmis­sen hat, haben hinge­gen nichts Mil­itärisches. Ramy Essam ist kein Sol­dat. Er ist ein ägyp­tis­ch­er Musik­er. Und spätestens als er in der näch­sten Szene mit ein­er Nar­ren­maske in die Kam­era blickt, wird klar, dass die Bilder provozieren sollen.

Musikvideo als Kritik an Präsident el-Sisi

Fast sechs Mil­lio­nen Mal wurde das Lied »Bal­a­ha« bei Youtube aufgerufen. Für den ägyp­tis­chen Präsi­dent Fat­tah el-Sisi dürften das sechs Mil­lio­nen Gründe sein, um gegen den Kün­stler und sein Pro­duk­tion­steam vorzuge­hen. Denn das Lied und die Bilder des Musikvideos aus dem Jahr 2018 sind an ihn gerichtet. Der ägyp­tis­che Präsi­dent el-Sisi wird von manchen Kri­tik­ern Bal­a­ha genan­nt – in Anlehnung an die Fig­ur aus einem ägyp­tis­chen Film. In dem Film ist Bal­a­ha ein notorisch­er Lügn­er und genau darum geht es auch in dem Lied.

Der Kom­pon­ist von »Bal­a­ha«, Ramy Essam, befind­est sich seit eini­gen Jahren in Schwe­den – im Exil, wie es heißt. Doch der Fotograf und Kün­stler, der für die provozieren­den Bilder des Musikvideos ver­ant­wortlich ist, kon­nte Ägypten nicht rechtzeit­ig ver­lassen. Nach mehr als zwei Jahren in einem Gefäng­nis in Kairo ver­starb der Regis­seur des Musikvideos, Shady Habash, am 2. Mai im Alter von 24 Jahren.

Kurz nach der Veröf­fentlichung des Videos wurde er zusam­men mit dem Autor Galal el Beheiry und dem Kün­stler Mustafa Gamal mit der Begrün­dung ver­haftet, sie ver­bre­it­en Falschin­for­ma­tio­nen, seien Mit­glieder ein­er »ter­ror­is­tis­chen Organ­i­sa­tion« und haben das Mil­itär belei­digt. Eine Gerichtsver­hand­lung wurde Habash bis zu seinem Tod verwehrt. 

Shady Habash habe versehentlich Handdesinfektionsmittel getrunken

Die Todesur­sache von Shady Habash war zunächst unklar. Nach Angaben des ägyp­tis­chen Staat­san­walts habe der 24-Jährige »verse­hentlich Hand­desin­fek­tion­s­mit­tel getrunk­en, weil er es mit Wass­er ver­wech­selt hat«, heißt es in einem Artikel der britis­chen Tageszeitung the guardian. Der Anwalt des Fotografen und Filmemach­ers, Ahmed el-Chawa­ga, sagte der Nachricht­e­na­gen­tur AFP, dass sich der Gesund­heit­szu­s­tand von Habash zulet­zt stark ver­schlechtert habe, weshalb er ins Kranken­haus gebracht wurde. Als er zurück ins Gefäng­nis kam, sei er noch in der­sel­ben Nacht ver­stor­ben.  Ara­bis­che Men­schen­rechtler kri­tisierten, er sei an »Fahrläs­sigkeit und man­gel­nder Gerechtigkeit« gestorben.

Der Musik­er Ramy Essam veröf­fentlichte nach dem Tod von Habash auf sein­er Web­site Tex­tauszüge aus dem let­zten Brief des Fotografen vom 26. Okto­ber 2019. Darin heißt es:

»Das Gefäng­nis tötet einen nicht. Ein­samkeit tötet einen. […] Ich bin immer noch im Gefäng­nis. Alle 45 Tage werde ich einem Richter vorge­führt, der mich dann weit­ere 45 Tage ins Gefäng­nis steckt. […] Ich brauche eure Hil­fe. Erin­nert sie daran, dass ich immer noch im Gefäng­nis sitze und dass sie mich vergessen haben. Ich sterbe langsam, weil ich allein gegen Alle ste­he. Ich weiß, dass es viele Fre­unde gibt, die mich lieben. Sie haben Angst über mich zu schreiben. Sie denken, dass ich auch ohne ihre Hil­fe wieder freikomme.«

Shady Habesh, 26. Okto­ber 2019

Presse und Meinungsfreiheit wird in Ägypten zunehmend eingeschränkt

Viele sehen den Fall um Habash stel­lvertre­tend für das, was sich in Ägypten seit eini­gen Jahren abze­ich­net: Die Mei­n­ungs- und Presse­frei­heit wird zunehmend eingeschränkt. Amnesty Inter­na­tion­al beze­ich­nete die Lage in Ägypten als »ver­heerend«. Zehn­tausende Men­schen seien willkür­lich inhaftiert wor­den – darunter zahlre­iche Sicher­heit­skräfte, Jour­nal­is­ten und Schrift­steller. Markus Beeko, Gen­er­alsekretär von Amnesty Inter­na­tion­al in Deutsch­land, wird dazu auf der Seite der NGO fol­gen­der­maßen zitiert:

»Wer in Ägypten unter der Regierung Al-Sisi friedlich seine Mei­n­ung äußert, riskiert, festgenom­men zu wer­den oder sog­ar ein­fach zu verschwinden.«

Markus Beeko (Amnesty Inter­na­tion­al Deutschland)


Dass Regime-Kri­tik­er zum Teil jahre­lang ohne Urteil oder Anklage fest­ge­hal­ten wer­den, bestätigt auch die Organ­i­sa­tion Reporter ohne Gren­zen. Die NGO veröf­fentlicht jährlich ein Rank­ing zur Lage der Presse­frei­heit. Ägypten liegt in diesem Rank­ing auf Platz 166 – von ins­ge­samt 180.

Auf der Seite heißt es: »Unter Präsi­dent Abdel Fat­tah al-Sisi ist Ägypten eines der Län­der mit den meis­ten inhaftierten Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten gewor­den. Manche wer­den jahre­lang ohne Urteil oder Anklage fest­ge­hal­ten, andere in Massen­prozessen zu lan­gen Haft­strafen verurteilt.« Weit­er heißt es, dass kri­tis­chen Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten unter­stellt werde, ange­bliche Unter­stützer ver­boten­er Organ­i­sa­tio­nen wie der Mus­lim­brud­er­schaft zu sein. Der­selbe Vor­wand, unter dem auch Shady Habash inhaftiert wurde.

Der Musik­er Ramy Essam und die anderen Kün­stler, die an dem Musikvideo zu »Bal­a­ha« mit­gewirkt haben, woll­ten auf diesen Zus­tand hin­weisen. Noch im April 2018 schrieb Essam auf sein­er Web­site, dass er mit dem Song an die freie Rede, das Recht auf Kri­tik und das Recht auf Verän­derung erin­nern wollte: »Wir haben uns durch die Kun­st fried­voll aus­ge­drückt, Musik als Werkzeug gegen Gewalt, Unter­drück­ung und Kor­rup­tion genutzt.«

Quellen:

Amnesty Inter­na­tion­al (2018): Unter­drück­te Zivilge­sellschaft braucht drin­gende Unter­stützung der Bun­desregierung. Online unter: https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/aegypten-unterdrueckte-zivilgesellschaft-braucht-dringende-unterstuetzung-der

Deutsche Welle (2020): Junger Filmemach­er in Kairo in Haft gestor­ben. Online unter: https://www.dw.com/de/junger-filmemacher-in-kairo-in-haft-gestorben/a‑53315779

Der Spiegel (2020): 24-Jähriger Filmemach­er stirbt in Kairo im Gefäng­nis. Online unter: https://www.spiegel.de/politik/ausland/balaha-regisseur-shady-habash-aegyptischer-filmemacher-stirbt-in-kairo-im-gefaengnis-a-122c1f89-61b5-42dc-97e1-53f7d4c6c993

Har­rer, Gudrun (2020): Satire kann in Ägypten tödlich sein. Online unter: https://www.derstandard.de/story/2000117255825/satire-kann-in-aegypten-toedlich-sein

The Guardian (2020): Egypt says fil-mak­er died in cell after drink­ing hand san­i­tiz­er. Online unter: https://www.theguardian.com/world/2020/may/06/egypt-film-maker-shady-habash-died-after-drinking-hand-sanitiser

Ramy Essam (2020): Pho­tog­ra­ph­er & Direc­tor Shady Habash dies at the age of 24 in Egypt­ian Prison. Online unter: https://www.ramyessam.com/post/photographer-director-shady-habash-dies-at-the-age-of-24-in-egyptian-prison

Reporter ohne Gren­zen (2020): Ägypten. Online unter: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aegypten/

Wegerhoff, Cor­nelia (2018): Ver­lage und Schrift­steller unter Druck. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/meinungsfreiheit-in-aegypten-verlage-und-schriftsteller.691.de.html?dram:article_id=410665

Bild: © Shady Habash

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