In der Stadt Salzburg wird über 64 Straßen diskutiert, die nach Nationalsozialisten benannt wurden. Eine Historikerkommission soll nun die “Betroffenheit” der jeweiligen Straßen prüfen. Der Verein Alpine Peace Crossing will an die Flucht jüdischer Menschen über die österreichischen Alpen erinnern. Wir haben uns von Robert Obermair, dem Vorsitzenden des Vereins, erklären lassen, warum eine Umbenennung der betroffenen Straßen wichtig ist.
Letzte Woche hat Ihr Verein mit der Aktion “Memory-Spiel gegen das Vergessen“ auf Straßen in Salzburg aufmerksam gemacht, die nach Nationalsozialisten benannt wurden. Wie haben die Menschen darauf reagiert?
Robert Obermair: Wir haben recht geteilte Reaktionen erfahren. Der Großteil der Interessierten hat aber durchweg positiv reagiert. Leider waren auch Leute dabei, die nicht gut fanden, wofür wir uns einsetzen. Von einer Person wurden wir als „Nestbeschmutzer“ und „neue Faschisten“ bezeichnet. Uns wurde vorgeworfen, dass wir uns immer an der Vergangenheit orientieren und und nicht an der Gegenwart.
Haben Sie mit Kritik gerechnet?
Der Gegenwind hat uns nicht überrascht. Überraschend war eher, dass die Leute, die sich für unser Memory-Spiel interessiert haben, so einen hohen Redebedarf hatten.
Worüber wollten die Menschen sprechen?
Viele hatten Fragen zu dem Thema. Einige haben dadurch erst erfahren, dass sie in einer der Straßen wohnen, die nach Nationalsozialisten benannt wurden. Wir haben also mit unserer Aktion genau das erreicht, was wir wollten.
Und zwar?
Wir wollten, dass über dieses Thema gesprochen wird.
Warum ist Ihnen die Umbenennung der betroffenen Straßen so wichtig?
Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in deren öffentlichem Raum Nationalsozialisten geehrt werden. Ich glaube, dass es vielen anderen Menschen in Salzburg genauso geht. Man fühlt sich unwohl, wenn man in einer Straße wohnt, die nach einem Antisemiten der frühen 1930er benannt wurde. Auch wenn man selber nichts dafür kann. Es ist mir auch wichtig, dass eine Stadt kritisch mit der eigengen Vergangenheit umgeht – auch mit den dunklen Kapiteln.
Was antworten Sie Kritikerinnen und Kritikern, die behaupten, dass eine Umbenennung der Straßen erst auf den Nationalsozialismus aufmerksam machen würde?
Das ist ein Scheinargument. Diese Leute sagen, dass man Geschichte nicht einfach auflösen kann. Man müsse sich nach deren Ansicht dadurch mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Dem stimme ich zu. Ich denke aber, dass sich das anders realisieren lässt. Man könnte zum Beispiel die Straßen umbenennen und dann vor Ort Gedenktafeln anbringen. Dadurch liese sich der Prozess dokumentieren.
Und was genau sollte auf solchen Tafeln stehen?
Darauf sollte zu lesen sein, wie die Straße zuvor hieß, warum sie so hieß und vor allem: aus welchen Gründen die Straße umbenannt wurde. Ich denke, das wäre ein guter Umgang mit einer Vergangenheit, die oft schmerzhaft ist.
Was für einen Hintergrund haben die Personen, nach denen die 64 Straßen benannt wurden?
Ein erstaunlich großer Teil der Personen war künstlerisch tätig. Viele hatten etwas mit den Salzburger Festspielen zu tun. Josef Thorak war zum Beispiel ein Bildhauer und zählte zu den Lieblingskünstlern von Adolf Hitler. Ansonsten waren es Tischlermeister, mehrere Politiker und insgesamt eher Personen, die aus gehobenen Schichten kamen. Ungefähr 40 der 64 Personen waren eingetragene NSDAP-Mitglieder. Der Rest war anderweitig mit dem NS-Regime verbunden oder profitierte von den Nationalsozialisten. Ich glaube, es wird sehr schwierig zu kategorisieren, welche Personen mehr beteiligt waren oder mehr „Schuld“ auf sich geladen haben, als andere.
Die Stadt Salzburg hat eine Historikerkommission zusammengestellt, die die jeweilige Betroffenheit der Straßen untersuchen soll. Wann kann man mit dem Bericht der Kommision rechnen?
Der Abschlussbericht der Historikerkommission über die nationalsozialistisch belasteten Straßennamen verzögert sich. Eigentlich hätte er diesen Monat erscheinen sollen. Jetzt wurde der Abschluss auf das Frühjahr verschoben. Sobald der Bericht vorliegt, hat die Stadt Salzburg zu entscheiden, ob und wie viele Straßen sie umbenennt. Für die Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Straßen heißt es also weiterhin: Abwarten.
Vielen Dank für das Interview!
Weiterführende Links:
Alpine Peace Crossing (2020): Ein Memory Spiel gegen das Vergessen. Online unter: https://alpinepeacecrossing.org/ein-memory-spiel-gegen-das-verdraengen/
Jahn, Franziska (2020): Franzi fragt nach! – Umbenennung der Salzburger NS-Straßennamen. Online unter: https://podcast.oeh-salzburg.at/franzi-fragt-nach-umbenennung-der-salzburger-ns-strassennamen/
Schätz, Konstantin (2020): Ein Mann, den die Geschichte nicht loslässt. Online unter: https://filesmagazin.com/gesellschaft/ein-mann-den-die-geschichte-nicht-loslaesst‑2/
Stadt Salzburg (2020): Straßennamen mit Verbindung zur Ideologie und zur Zeit des Nationalsozialismus. Online unter: https://www.stadt-salzburg.at/ns-projekt/ns-strassennamen/
Quellen:
Salzburger Nachrichten (2020): Memory-Spiel auf dem Residenzplatz: Aktion informierte über NS-belastete Straßennamen. Online unter: https://www.sn.at/salzburg/chronik/memory-spiel-auf-dem-residenzplatz-aktion-informierte-ueber-ns-belastete-strassennamen-97098118
Stadt Salzburg (2020): NamengeberInnen von Straßen, Plätzen, Brücken und Stegen in der Landeshauptstadt Salzburgund ihr Verhalten in der NS-Zeit. Online unter: https://www.stadt-salzburg.at/fileadmin/landingpages/stadtgeschichte/ns_projekt/ns_strassennamen/aufstellung_201211.pdf