Eigentlich wollte Sahel Zarinfard Astronautin werden. Heute ist sie eine prämierte Investigativjournalistin und Mitbegründerin der Rechercheplattform DOSSIER. Durch ihre Arbeit hat sie erfahren, was Journalismus leisten kann und wo die Grenzen der guten Berichterstattung liegen. Ein Porträt.
“Der Anfang ist schwer, der Mittelteil und das Ende vielleicht auch.”
So beschreibt Sahel Zarinfard, Journalistin und Mitbegründerin der Redaktion DOSSIER, nicht etwa einen Flug ins All, sondern die Arbeit im Journalismus. Die 33-jährige Iranerin, die in Wien lebt und arbeitet, will schon früh hoch hinaus: Als Kind ist ihr Traumjob Astronautin, heute greift die Journalistin im österreichischen Medienhimmel nach den Sternen.
Doch auch Sahel Zarinfard hat klein angefangen: “Ich habe, wahrscheinlich wie viele andere Journalist*innen auch, eine klassische Praktikumsrundfahrt durch Österreichs Medienhäuser gemacht und war irgendwie nicht mit dem Herzen dabei. Ich bin da vor mehreren Hürden gestanden, weil ich irgendwie meinen Platz nicht gefunden habe in der Medienbranche.” Auf der Suche nach ihrem Heimatplaneten im Medienuniversum gründet sie schon während der Studienzeit das Onlinemedium PAROLI, welches 2012 mit dem “New Media Journalism Award” ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr beginnt die Recherche für eine Geschichte, die wenig später den Grundstein des DOSSIER legt: “Die Anzeigen-Schweige-Spirale”.
Kritische Recherchen seit dem ersten Tag
Schon vor der Veröffentlichung erhitzt das Thema die Gemüter, denn Medienmogulin Eva Dichand droht präventiv und medienwirksam mit einer Verleumdungs- und Schadenersatzklage. Sahel Zarinfard erinnert sich lebhaft an diesen Moment: “Dabei hatten wir noch keine Silbe veröffentlicht. Sie hat uns über Nacht österreichweit bekannt gemacht!”
Bekannt ist DOSSIER für Datenjournalismus und investigative Recherchen, die sich gemeinnützig über Crowdfunding finanzieren. Insgesamt 6337 Unterstützer*innen zählt die unabhängige Redaktion aktuell — Tendenz steigend.
Die Geschichte darf im Datendschungel nicht verloren gehen
Die Basis für einen derartigen Raketenstart wird für die Journalistin aus “Zeit, Geld und Unabhängigkeit” gebildet. “Solche Projekte gelingen nicht an einem Tag und auch nicht im Alleingang. Es braucht ein Team und viel Zeit, um eben diese Geschichte, die man eigentlich erzählen will, vor lauter Daten nicht zu verlieren.” Die Crew des DOSSIER könnte wohl nicht vielfältiger sein: Verschiedene Menschen mit unterschiedlichsten Zugängen zum Journalismus haben es sich zur Mission gemacht, Missstände rund um Österreich aufzudecken.
Die Arbeit als investigative Journalistin sei aber weniger detektivisch, als man sich das eigentlich vorstelle, sondern gestalte sich vielmehr untersuchend. “Ich überlege mir ein Thema, überlege mir Thesen dazu und versuche, das Thema so umfangreich wie möglich zu recherchieren.”
Der Journalismus kann Missstände nur thematisieren, aber nicht lösen
Sahel Zarinfard sieht ihre finale Destination allerdings nicht als Aktivistin beim Beseitigen von Missständen: “Es ist natürlich schön, wenn etwas passiert, und wünschenswert, aber da hört bei mir die Arbeit auf. Ich kann nicht mehr machen, als die Missstände aufzuzeigen. Was dann damit passiert, hängt zum einen vom Publikum ab, zum anderen von Entscheidungsträger*innen, die in Schlüsselpositionen sitzen. Das kann und will ich auch gar nicht beeinflussen.” Endstationen ihrer Arbeit gebe es eigentlich keine, denn wirklich abgeschlossen sei eine Recherche nie. Ein Auge und Ohr halte die junge Medienmacherin daher immer für Geschichten offen, die sie bisher schon veröffentlicht hat.
Die Grenzen des Journalismus
Auf ihrer journalistischen Reise hat Sahel Zarinfard viel erlebt, doch eine Grenze hat die Investigativjournalistin nie überschritten: “Das Privatleben anderer ist eine Tabugeschichte”; vor allem, wenn es darum geht, “der ganzen Geschichte einfach ein bisschen mehr boulevardesken Schaum zu verleihen”. Von Kritik aus der Welt des Boulevards lässt sich die Journalistin nicht unterkriegen. Äußerungen von gewissen Leuten, die teilweise auch relativ scharf ausfallen, nützten dem DOSSIER eigentlich mehr als sie ihnen schadeten. Dass Michael Jeannée das Investigativmedium als “bösartigen, journalistischen Müll” bezeichnet, sieht Sahel Zarinfard daher eher gelassen: “Wir haben eine Meinungsfreiheit in Österreich und man muss jetzt auch nicht auf alles reagieren, was jemand sagt”.
Auf welche Abenteuer Sahel Zarinfard und das Team des DOSSIER ihre Unterstützer*innen in Zukunft mitnehmen werden, steht noch in den Sternen. Vier Ausgaben des Printmagazins pro Jahr plane das Redaktionsteam zu veröffentlichen. Für alle weiteren Projekte und Ideen bleibt die Devise: “Wir erlauben uns zu träumen!”
SAHEL ZARINFARD ist in Teheran geboren und in Salzburg aufgewachsen. Mittlerweile lebt die 33-Jährige in Wien. Schon während ihrer Schulzeit gründet sie ihre erste Zeitung, noch vor Abschluss ihres Studiums im Bereich Journalismus und neue Medien entwickelt sie das Onlinemedium PAROLI. Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin unterrichtet sie als Lehrbeauftragte für investigative Recherche an der FH Wien und ist Dozentin für Multimedia am Publizistikinstitut der Uni Wien. An der DOSSIER Academy hält sie zudem Kurse für zukünftige und etablierte Medienschaffende.
Quellen:
Dossier (2012): Die Anzeigen-Schweige-Spirale. Online unter: https://www.dossier.at/dossiers/inserate/die-anzeigen-schweige-spirale/
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