In Zeiten von FakeNews und Verschwörungsideologien werden die Schreie nach unabhängiger und zuverlässiger Berichterstattung immer größer. Doch selbst etabilierte Medien sind einem System unterworfen. Wie mächtig sind Medien also wirklich?
“Alles, was wir wissen, wissen wir durch die Medien.”
Tagtäglich überhäuft uns die Medienmaschinerie mit Schlagzeilen, Eilmeldungen und Bilanzen. Offline und digital, wir können immer und überall auf jegliches Wissen zugreifen. Jedoch sind in Zeiten von „FakeNews“ und Verschwörungsideologien die Grenzen zwischen Wissen und Glauben fließend. In diesem Gefüge nehmen etablierte Medien eine verantwortungsvolle Rolle ein. Ob Radio, Fernsehen, Zeitung oder Online-Zeitschrift, Medien formen Bilder in den Köpfen ihres Publikums. Die Art und Weise von Berichterstattungen kann Meinungen beeinflussen. Je höher die Reichweite, desto höher die gesellschaftliche Verantwortung einer reflektierten und ausgewogenen Themenauseinandersetzung. Aber wie unabhängig und frei können Medien tatsächlich berichten?
Medien sind ihre Mitarbeiter*innen
Die Medien unserer Zeit sind einigen Faktoren ausgesetzt. Medien sind auch Arbeitgeber*innen u.a. für viele Journalist*innen. Diese Journalist*innen haben alle einen persönlichen Hintergrund und niemand kann behaupten, völlig objektiv berichten zu können, denn wir alle sind durch Erfahrungen und Denkmuster geprägt. Wir nehmen alles vor unserem persönlichen Hintergrund wahr und können daher nie völlig objektiv, sondern nur möglichst objektiv berichten. Das gilt für private Erzählungen, aber eben auch für die Berichterstattung als Journalist*innen.
Medien sind Teil der Marktwirtschaft
Medien sind also zu einem großen Teil ihre Mitarbeiter*innen und deren Erfahrungen. Sie sind ebenso ökonomische Unternehmen, die sich finanzieren müssen und damit der Marktwirtschaft ausgesetzt. Die Finanzierung erfolgt durch Werbung oder staatliche Zuschüsse. In beiden Fällen stellt sich die Frage, wie unabhängig Medien tatsächlich berichten können, wenn sie unter Einfluss des Staates oder ihrer (Werbeanzeigen-)Kund*innen stehen.
Der ORF in Österreich veranschaulicht das sehr gut. Als öffentlich-rechtliche Anstalt ist der ORF nicht auf Werbeanzeigen angewiesen und sollte eigentlich außerhalb der österreichischen Marktwirtschaft agieren. Frei von äußeren Einflüssen auf die Berichterstattung ist er jedoch nicht. Vor allem im vergangenen Jahr 2021 bei der Wahl des neuen ORF-Generaldirektors wurde deutlich, wie viel Macht in dieser Position steckt und wie viele Akteur*innen sich diese wünschen. Der neu gewählte Generaldirektor Roland Weißmann verfügt über mehr Ressourcen und instrumentelle Macht als jedes andere Medienunternehmen in Österreich. Alle Personen, die sich auf die Stelle beworben haben, sind keineswegs unabhängig von Einflüssen oder immer objektiv. Parteien und große Wirtschaftsunternehmen versuchen sich diese Position zu Nutze zu machen. Ein nicht freier und damit beeinflusster ORF hat natürlich Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er zeichnet ein Bild der Öffentlichkeit, was den Vorstellungen der Personen entspricht, die die Entscheidungsgewalt haben.
Medien haben also die Macht der Meinungsbildung. Das bringt jedoch eine enorme Verantwortung mit sich. Diese Verantwortung und gleichzeitig Macht liegt in den Händen der Verantwortlichen wie dem ORF-Generaldirektor.
Die westliche Welt ist im digitalen Vorteil
Von immer größerer Bedeutung sind vor allem Online-Medien. Online ist für uns jedes Thema jederzeit abrufbar, unabhängig von Zeit und Ort. Allerdings vergrößert dieser Umstand den Vorsprung der westlichen Welt gegenüber strukturell schwachen Regionen enorm. Unter dem Begriff Digital Divide wird deutlich, dass (noch) nicht jeder Mensch Zugang zum Internet hat. Online-Medien verstärken somit die Ungleichheit des Zugangs zu Bildung und Wissen. Zwar liegt die Ursache dieser Ungleichheit nicht bei den Medien, sie sind jedoch wertvolles Instrument in Hinblick auf Weiterbildung und daher mächtig. Unter den Online-Medien finden sich mittlerweile nicht nur Online-Magazine, sondern auch Social-Media-Plattformen.
Misstrauen gegenüber der Presse
Die geteilten Informationen auf diesen Plattformen stammen nicht immer von Journalist*innen. In einer Zeit, in der beinahe jede/r bei uns in der westlichen Welt online vertreten ist und jederzeit seine/ihre Meinung und seine/ihre Sicht der Geschehnisse teilen kann, wird die Macht der Medien deutlich. Zur Berichterstattung über die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westphalen und Rheinland-Pfalz in Deutschland im Juli 2021 gibt es nicht nur journalistische Beiträge. Vor allem auf Facebook finden sich viele einzelne Stimmen und Erzählungen der Geschehnisse aus Sicht der Betroffenen. Unter den Erzählungen schwingt ein rauer Ton gegenüber der Presse mit. Es wird der Vorwurf geäußert, die Presse berichte nicht darüber, dass viele der Hilfskräfte sehr spät oder gar nicht ankämen, weil die Politik die Einsätze nicht genehmigen würde. Viele stellen sich die Frage, ob die Presse und die Medien diese Informationen, diese Sicht der Geschehnisse, bewusst zurückhalten oder ob sie seitens der Politik sogar gar nicht berichten dürften. Unklar ist allerdings auch, inwieweit die Betroffenen durch ihre Erlebnisse beeinflusst sind und sie sich allein gelassen und missverstanden fühlen. Die Presse hat die Macht die Katastrophe zu stigmatisieren und auch zu entkontextualisieren.
Der Kampf gegen “FakeNews”
Jede/r kann im Netz seine begründete Meinung teilen oder aber auch Gerüchte und Falschinformationen verbreiten. Dabei ist die Rede von „FakeNews“. Das sind Nachrichten, die wie echte, handfeste Fakten vermittelt werden, aber keine Grundlage aufweisen und nicht stimmen. „FakeNews“ zu entlarven ist jedoch nicht immer leicht. Medien haben die Macht und die Aufgabe gegen „FakeNews“ vorzugehen. Die Menschen müssen sich auf sorgfältig recherchierte Nachrichtenquellen verlassen können. Dem gegenüber stehen alternative Medien, die sich nicht dieser Aufgabe verschrieben haben und „FakeNews“ weiter verbreiten. Besonders während der Corona-Pandemie und in Zeiten der Querdenker*innen-Bewegung hat sich gezeigt, wie mächtig Verschwörungsideologien und Einzelpersonen aufgrund ihrer Reichweite auf digitalen Medien wie bspw. Telegram werden können. Digitale Medienplattformen besitzen Macht darüber, welche Inhalte online langfristig verfügbar sind. Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram haben Gemeinschaftsrichtlinien und sperren beispielsweise terroristische oder diskriminierende Inhalte. Das ist ein hilfreicher Mechanismus, um das allgemeine Gesprächsklima im Netz zu verbessern und die Verantwortung liegt bei den Social-Media-Plattformen. Das hängt stark mit dem Begriff des sogenannten „Gatekeeping“ aus der Nachrichtenforschung zusammen.
Wir sehen nur ausgewählte Inhalte
Medien filtern Inhalte, Themen und Geschehnisse nach den sogenannten „Nachrichtenfaktoren“. Je mehr Faktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass über sie berichtet wird. Solche Nachrichtenfaktoren können sein: „Eliteperson“, „Eliteländer“, „Negativität“, „Überraschung“ oder „Aktualität“. Das Publikum bekommt also nicht zwangsläufig alles mit, was passiert, sondern nur das, was der/die jeweilige Redakteur*in entscheidet, das wichtig ist. Wir sind von den Medien und deren Themengewichtung abhängig, was die Medien in eine sehr machtvolle Position hebt.
Unsere “Filter-Bubble” macht uns träge
In der digitalen Welt sind durch Algorithmen die Inhalte, die jeder/m Einzelnen von uns in der Timeline oder der Suchfunktion vorgeschlagen werden, auf uns persönlich abgestimmt. Themen, über die wir uns bereits genauer informiert haben, werden häufiger dargestellt. Dadurch entsteht die sogenannte „Filter-Bubble“. Wir beschäftigen uns immer weniger mit Themen, zu denen wir keinen Bezug haben und die uns nicht interessieren. Sichtweisen, die wir ohnehin schon vertreten, werden verstärkt repräsentiert. Andere Meinungen, als unsere eigene, finden selten ihren Weg in unsere „Bubble“ und Timeline. Medien haben dabei die Möglichkeit, diese „Filter-Bubble“ aufzulösen oder zumindest zu erweitern, indem sie uns mit Themen konfrontieren, die uns nicht ohnehin im Alltag über den Weg laufen. Es kann gefährlich werden, wenn sich jede/r nur in seiner eigenen „Filter-Bubble“ bewegt, nur seine/ihre Meinung für richtig und wichtig erachtet und sich damit automatisch Andersgesinnten verschließt. Medien können dazu beitragen ein pluralistisches Bild in den Köpfen des Publikums zu formen oder beizubehalten. Allerdings besteht bei Online- Medien die Gefahr, dass sie sich zu sehr an die digitalen Strukturen des Internets anpassen. Dabei kann ein Verlust der Qualität zugunsten der Quantität und der Reichweite entstehen, weil mehr Wert auf Sichtbarkeit im Netz und auf die Reproduktion durch Vorschläge-Algorithmen gelegt wird, als auf qualitativ hochwertige Inhalte.
Die Macht der Medien
Die Verantwortung der Medien wird wahrscheinlich von vielen nicht-Medienschaffenden unterschätzt und sie kritisieren die etablierten Medien oder nutzen stattdessen alternative Medien zur Informationsbeschaffung. Medien haben die Macht zur Zusammenführung von Gleichgesinnten. Sie können gesellschaftliche Diskussionen vorantreiben und beeinflussen. Schlussendlich sind Medien sehr mächtig. Ob diese Macht positiv oder negativ zu bewerten ist, hängt damit zusammen, wofür Medien und Medienschaffende, die ihnen zukommende Macht, einsetzen.
Weiterlesen:
Jahn, Franziska. (2021). “Kein Grund, um zu jubeln!.” Online unter: https://filesmagazin.com/gesellschaft/oesterreichs-pressefreiheit-kein-grund-um-zu-jubeln/
Scharmer, Theresa. (2021). Mundtot — Wenn die Wahrheit das Ende bedeutet. Online unter: https://filesmagazin.com/politik/mundtot-wenn-die-wahrheit-das-ende-bedeutet/
Quellen:
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El Zein, Rein. (2021). Between Violence, Vulnerability, Resilience and Resistance: Arab Satellite Television on Displaced Syrian Women during the Syrian Conflict. Unveröffentlichter Foliensatz. Universität Salzburg: 10.03.2021.
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Journalistikon. (2021). Gatekeeping. Online unter: https://journalistikon.de/gatekeeping/ (17.08.21)
Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. (2021). Fake News. Online unter: https://www.lmz-bw.de/medien-und-bildung/jugendmedienschutz/fake-news/ (17.08.21)
Maier, Michaela. (2018). Nachrichtenwerttheorie. In Glogger, Isabella, Maier, Michaela, Retzbach, Joachim, & Stengel, Karin. Nachrichtenwerttheorie. Baden- Baden: Nomos V erlagsgesellschaft
ORF. (2021). Klare Mehrheit. Weißmann wird neuer ORF-Generaldirektor. Online unter: https://orf.at/stories/3224290/ (17.08.21)
Reichertz, Jo. (2008). Die Macht der Worte und der Medien. (2. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV).
Smarzoch, Raphael. (2018). Filterblasen, Echokammern & Co. Filtern als Kulturtechnik. Online unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/filterblasen-echokammern-co-filtern-alskulturtechnik.976.de.html?dram:article_id=433306 (17.08.21)
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YouTube. (2021). Corinnaschau – Wenn Wahrheitsmedien über Wahrheit sprechen. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=qX0cKp9p0HU (17.08.21)
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