Hunderte von Schüler*innen wurden in den letzten Monaten in Nigeria entführt. Jetzt bekennt sich die Terrormiliz Boko Haram zu den Überfällen. Die nigerianische Bevölkerung wirft ihrer Regierung Untätigkeit vor.
Hunderte Schülerinnen in Nigeria entführt – so lauteten Mitte Februar die Schlagzeilen vieler großer Medienhäuser. Laut ARD und ZEIT belief sich die Zahl der entführten Personen auf rund 40. In anderen Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und auch späteren Berichten der ARD ist wiederum von mehreren Hundert entführten Personen die Rede. Tatsächlich stimmen alle Zahlen mit den Vorkommnissen in Nigeria überein. Zunächst wurde eine Schule in der Stadt Kagara im nigerianischen Bundesstaat Niger überfallen. Dort wurden 40 Schüler*innen, Lehrkräfte und Familienmitglieder der Schüler*innen entführt. Um drei Uhr nachts stürmten die Angreifer die Oberschule und gingen dabei äußerst brutal vor. „Sie haben auf uns eingeschlagen!“, berichtet ein Junge, der mit einigen anderen Entführten vor den Angreifern fliehen konnte. Ein Kind wurde bei dem Überfall erschossen. Viele der Verwundeten mussten ins Krankenhaus. Eine Woche nach dem Vorfall berichtet die nigerianische Regierung von einer „Rettung“ der Entführten. Ob tatsächlich alle Entführten wieder frei sind, ist unklar. Einige Wochen später wurden in Nigers Nachbarstaat Zamfara abermals Schülerinnen entführt. 317 Schülerinnen eines Internats wurden als Geiseln genommen. So lassen sich die verschiedenen Zahlen der Medienberichte erklären.
Kinderentführungen häufen sich in Nord- und Zentralnigeria
In Nigeria wächst die Wut der Bevölkerung auf die Regierung. Denn die genannten Überfälle auf die Oberchule in Kagara und das Internat in Zamfara waren nicht die ersten Vorfälle dieser Art. Bereits im Dezember waren im Nordwesten Nigerias über 300 Schüler*innen entführt worden. Damals bekannte sich die Terrormiliz Boko Haram zu der Entführung, wie auch jetzt auf den Überfall auf die Oberschule. Das erste Mal schaffte es Boko Haram 2014 weltweit in die Schlagzeilen. Mehr als 270 Schülerinnen aus Chibok, Nigeria wurden damals von der Terrormiliz verschleppt. Durch Rettungsaktionen der nigerianischen Regierung konnten viele der Schülerinnen befreit werden. Über 100 werden jedoch bis heute vermisst.
Boko Haram ist im Auge zu behalten
Auch andere gewalttätige Gruppen verüben in Nigeria oft Entführungen, um beispielsweise Lösegeld zu erpressen oder die Kinder als Sexklav*innen zu missbrauchen. Die radikalste Gruppe ist jedoch die Terrormilz Boko Haram. Sie hat sich der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen und strebt seitdem danach einen eigenständigen islamischen Staat zu errichten. Außerdem soll Boko Haram Verbindungen zu Al-Kaida haben. Nach der Gründung von Boko Haram 2002 im nigerianischen Bundesstaat Borno forderte die Organisation zunächst gewaltlos die Einführung der Scharia – das islamische Rechtssystem. Der Gründer von Boko Haram, der salafistische Prediger Ustaz Mohammed Yusuf, befand den nigerianischen Staat nämlich als „unislamisch“. Nachdem Yusuf 2009 von nigerianischen Sicherheitskräften getötet wurde, starben über 20.000 Menschen durch die Terrormiliz und rund 2,6 Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben. Durch die Entführungen und die Gewalt sollen die strengeren islamischen Regeln der Scharia durchgesetzt werden. Nach denen dürfen Mädchen nicht zur Schule gehen und Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sein. Die entführten Mädchen werden oft mit Männern von Boko Haram zwangsverheiratet oder zu Kämpferinnen ausgebildet.
Wut auf die Untätigkeit der nigerianischen Regierung
Die häufigen Entführungen von Hunderten Kindern und Jugendlichen in Nigeria frustrieren die Bevölkerung. Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Nach dem Überfall in Zamfara kam es zu Ausschreitungen. Journalist*innen, Sicherheitskräfte und Behördenvertreter*innen wurden von Dorfbewohner*innen angegriffen. Der geflohene Junge aus der Oberschule in Kangara sagt: „Unsere Botschaft an die Regierung ist, dass die Regierung unsere Zukunft zerstört hat. Wir haben den Ehrgeiz, hier etwas zu werden, und die Regierung lässt uns im Stich. Die Regierung sollte aufwachen und das Notwendige tun, weil das, was geschieht, zu viel ist.”.
Quellen:
Tagesschau (2021): Erneut Schulkinder gekidnapped. Ohnmacht und Angst nach Entführung in Nigeria. Online unter: https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/nigeria-schulkinder-entfuehrung-103.html
Tagesschau (2021): Nigeria. Einige entführte Schüler offenbar frei. Online unter: https://www.tagesschau.de/ausland/nigeria-boko-haram-schueler-101.html
Die ZEIT (2021): Bewaffnete entführen mehr als 40 Kinder und Erwachsene in Niger. Online unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021–02/nigeria-schulkinder-entfuehrt-bewaffnete-angreifer?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
Die ZEIT (2018): Boko Haram. Alles zur Terrororganisation. Online unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/boko-haram-ueberblick
Internationale Gesellschaft Für Menschenrechte (2021): Scharia — eine Einführung. Online unter: https://www.igfm.de/die-scharia-eine-einfuehrung/
Der Standard (2021): Was hinter den Massenentführungen von Kindern in Nigeria steckt. Online unter: https://www.derstandard.at/story/2000124534062/was-hinter-den-massenentfuehrungen-von-kindern-in-nigeria-steckt
Frieden Fragen (2021): Warum werden Mädchen in Nigeria entführt? Online unter: https://www.frieden-fragen.de/entdecken/aktuelle-kriege/nigeria/warum-werden-maedchen-in-nigeria-entfuehrt.html
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