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Auf die Coro­n­akrise kön­nte eine Europa-Krise fol­gen. EU-skep­tis­che Kräfte wer­den nach der Pan­demie viel Angriffs­fläche vorfinden.

Auch wenn man derzeit dazu ver­leit­et ist, sich vor allem um die Gegen­wart und die nahe Zukun­ft zu sor­gen, man sollte sich auch Gedanken über die etwas ent­fer­n­tere Zukun­ft der EU machen. Denn die Coro­n­akrise, so schlimm sie auch ist und noch wer­den wird, sie wird auch irgend­wann wieder vor­bei sein. Und die tragis­chen Ereignisse haben das Poten­tial die Europäis­che Union in eine exis­ten­zielle Krise zu stürzen.

In Ital­ien stapeln sich die Särge und im Ster­ben Liegende kön­nen sich nicht mehr von ihren Ange­höri­gen ver­ab­schieden. In Frankre­ich (und nicht nur dort) wer­den ältere Men­schen nach sozial­dar­win­is­tis­chem Prinzip regel­recht aus­ge­siebt, müssen also dem Tod über­lassen wer­den, weil es zu wenig inten­sivmedi­zinis­che Ressourcen gibt. Es sind schreck­liche Nachricht­en, die wir in diesen Tagen zu hören bekom­men. Und so Manch­er kön­nte schon bald die Schuld für diese Entwick­lun­gen bei der EU sehen. Viele wer­den sich fra­gen: »Warum wurde ger­ade mein Land, meine Region, so hart vom Virus getrof­fen?« Und vor allem: »Wer ist daran schuld?«

Für Nordi­tal­ien gibt es beispiel­sweise eine ganze Rei­he von Fak­toren, die dafür ver­ant­wortlich sind: von hoher Luftver­schmutzung, über eine beson­ders alte Bevölkerung und so weit­er. Ein beson­ders entschei­den­der Punkt sind jedoch die mas­siv­en Einsparun­gen im öffentlichen und für alle zugänglichen Gesund­heitssys­tem. In der jüng­sten Finanz- und Wirtschaft­skrise wurde es radikal zusam­menges­part. Der hochver­schuldete Staat hat Forschungszuschüsse im ver­gan­genen Jahrzehnt um 21 Prozent gekürzt und viele bril­lante Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler ans Aus­land ver­loren. Im Hin­blick auf die Coro­n­akrise kann dies nun hochex­plo­siv­er sozialer Sprengstoff wer­den. Denn kaum etwas erregt, ver­ständlicher­weise, der­ar­tige Wut, wie Tote, die ver­hin­dert hät­ten wer­den können.

Corona-Krise als Nährboden für Populisten

Die Covid-19-Krise spüren die Men­schen am eige­nen Leib, wie kaum eine Krise zuvor. Antieu­ropäis­che, pop­ulis­tis­che Kräfte, wie Mat­teo Salvi­nis recht­sna­tionale Lega, kön­nten die Krise instru­men­tal­isieren und die Ver­ant­wor­tung bei der EU suchen. Sie wür­den leicht­es Spiel haben: In der Wirtschafts- und Finanzkrise drängte vor allem Brüs­sel auf Einsparun­gen. Inwiefern die Vor­würfe tat­säch­lich berechtigt sind, würde dann zweitrangig sein. Eine ein­fache Antwort auf die bren­nende Frage nach der Schuld wäre geliefert. Auch wenn etwa Salvi­ni zu Beginn der Krise mit der Forderung »alles offen« zu hal­ten ins Fet­tnäpfchen getreten ist, kön­nen er und andere Pop­ulis­ten von Coro­na noch gehörig prof­i­tieren. Wirtschaftlich­er Ver­fall und Arbeit­slosigkeit bieten einen ide­alen Nährbo­den für Recht­spop­ulis­mus. Das hat die Ver­gan­gen­heit bere­its aus­re­ichend gezeigt.

In Deutsch­land kon­nte die AfD bish­er von der Krise nicht prof­i­tieren. Die GroKo legte zu, in Öster­re­ich erfreut sich Türkis-grün hoher Zus­tim­mung und selb­st Don­ald Trump, der das Virus zu Beginn als Scherz beze­ich­nete, bleibt laut jüng­sten Umfra­gen noch sta­bil. Es scheint typ­isch, dass zu Beginn der­ar­tiger Krisen­zeit­en die regieren­den Parteien und Per­so­n­en (zumin­d­est kurzfristig) an Beliebtheitswerten zule­gen. Viele Men­schen sehnen sich im Moment nach Sta­bil­ität und Sicher­heit. Die Zus­tim­mungswerte für die Regieren­den kön­nten sich jedoch sich rasch ver­schlechtern, wenn die Wirtschaft­skrise richtig einschlägt.

Auch in Frankre­ich, wo das Gesund­heitswe­sen bere­its über­fordert ist, kann die ohne­hin schon starke EU-Skep­sis durch die Krise noch stärk­er wer­den. Die Wahlergeb­nisse von Marine Le Pens Rassem­ble­ment Nation­al bei ver­gan­genen Europawahlen haben deut­lich gezeigt, wie viele Stim­men mit EU-feindlichen Parolen zu holen sind. Sowohl 2014, als auch 2019 wurde Le Pens Partei stärk­ste Kraft. Emmanuel Macron hat mit sein­er neolib­eralen Wirtschafts- und Sozialpoli­tik mit­tler­weile auch an Pop­u­lar­ität ver­loren, wie die Gelb­west­en­proteste ein­drucksvoll gezeigt haben. Sollte sich nicht schnell etwas an der Sit­u­a­tion ändern, dann haben proeu­ropäis­che Ansätze in der Grande Nation möglicher­weise bald keine Chance mehr.

Orban nutzt Corona, um seine Macht auzubauen

Vik­tor Orban hat die Coro­n­akrise inzwis­chen für seine Macht­poli­tik aus­genutzt. Während andere europäis­che Spitzen­poli­tik­erin­nen und Spitzen­poli­tik­er mit der Bekämp­fung des Virus beschäftigt und abge­lenkt sind, nutzte er die Gun­st der Stunde um das Par­la­ment auszuschal­ten und Ungarn tat­säch­lich in die erste Dik­tatur umzuwan­deln, die gle­ichzeit­ig EU-Mit­glied ist. Der ungarische Min­is­ter­präsi­dent hat bekan­ntlich bere­its in den Jahren zuvor schrit­tweise Demokratieab­bau betrieben, wobei ihn seine europäis­chen Parteifre­unde weit­ge­hend gewähren ließen. Die Auss­chal­tung des Par­la­ments ist nun eine Her­aus­forderung für die EU, denn es ist Orban sehr wohl zuzu­trauen, dass er seine gewonnene Macht nicht mehr so schnell aus den Hän­den gibt.

Europa muss ein Zeichen der Solidarität setzen

Erschw­erend zur Gesamt­lage kommt hinzu, dass die europäis­che Gemein­schaft am Beginn der Pan­demie träge reagiert hat, beim Krisen­man­age­ment scheint jedes Land noch immer sein eigenes Süp­pchen zu kochen. In Teilen mag Let­zteres auch seine Richtigkeit haben. Doch pos­i­tive Beispiele für gren­züber­schre­i­t­ende Zusam­me­nar­beit, wie Spitäler in Nor­drhein-West­falen, die Patien­ten aus Frankre­ich und Ital­ien behan­deln, scheinen Aus­nah­men zu sein. Nun wird im Hin­blick auf den Stre­it um mögliche Coro­n­abonds offen­sichtlich, wie wenig europäis­ch­er Geist in Krisen­zeit­en tat­säch­lich vorhan­den ist. Die franzö­sis­che Europamin­is­terin stellte in diesem Zusam­men­hang bere­its den Sinn der EU infrage. Wenn Europa nur ein großer Bin­nen­markt für gute Zeit­en sei, aber keine Sol­i­dar­ität vorhan­den ist, habe das Pro­jekt keinen Sinn. Auch der frühere EU-Kom­mis­sion­spräsi­dent Jacques Delors hat seine Sorge bekun­det, die Krise könne die EU zer­stören. Er warnte:

»Die Stim­mung, die zwis­chen den Staats- und Regierungschefs zu herrschen scheint, und die fehlende europäis­che Sol­i­dar­ität stellen eine tödliche Gefahr für die EU dar.«

Sollte der klein­liche, nationale Ego­is­mus siegen und einzelne Län­der in der bald kom­menden Wirtschaft­skrise im Regen ste­hen gelassen wer­den, dann wird die EU daran zer­brechen. In ein­er Sol­i­darge­mein­schaft muss den Schwächeren geholfen wer­den. Die Antwort kann also nur sein: Sol­i­dar­ität, Sol­i­dar­ität, Sol­i­dar­ität.

Weit­er­führende Literatur:

Kon­trast (2020): Coro­na-Krise: Wo ist eigentlich die EU? Online unter: https://kontrast.at/eu-italien-krise/

Joeres, Anni­ka (2020): Poli­tik wie zu Mar­garet Thatch­ers Zeit­en. Online unter: https://www.zeit.de/politik/2020–01/emmanuel-macron-frankreich-gelbwesten-rentenreform-protest-demonstrationen

Quellen:

Meil­er, Oliv­er (2020): Warum Ital­ien so stark betrof­fen ist. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-italien-gruende‑1.4851458

Meis­ter, Mar­ti­na (2020): Den ältesten Patien­ten helfen sie nur noch beim Ster­ben. Online unter: https://www.welt.de/politik/ausland/plus206815855/Corona-in-Frankreich-Den-aeltesten-Patienten-helfen-sie-nur-noch-beim-Sterben.html

ORF (2020): Ungar­ns Par­la­ment fak­tisch ent­machtet. Online unter: https://orf.at/stories/3159914/

Spiegel (2020): In der Lom­bardei stapeln sich die Särge vor den Kre­ma­to­rien. Online unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krise-so-ist-es-in-italien-frankreich-den-usa-und-china-a-e959e762-0415–46fd-8504-bc476c93d93c

Sturm, Daniel Friedrich (2020): Trumps Pop­u­lar­ität steigt in Folge der Coro­na-Krise. Online unter: https://www.welt.de/politik/ausland/article206782569/Pandemie-Management-Trumps-Popularitaet-steigt-durch-Corona-Krise.html

Wiegel, Michaela (2020): Angst um die EU. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/corona-krise-in-frankreich-droht-das-ende-der-eu-16702221.html

Wiener Zeitung (2020): “Trumps Leug­nen war tödlich”. Online unter: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2055959-Trumps-Leugnen-war-toedlich.html

ZDF (2020): Korte: Die AfD ist Krisen­ver­lier­er. Online unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-politik-korte-100.html

Weit­er­führende Literatur:

Kon­trast (2020): Coro­na-Krise: Wo ist eigentlich die EU? Online unter: https://kontrast.at/eu-italien-krise/

Joeres, Anni­ka (2020): Poli­tik wie zu Mar­garet Thatch­ers Zeit­en. Online unter: https://www.zeit.de/politik/2020–01/emmanuel-macron-frankreich-gelbwesten-rentenreform-protest-demonstrationen

Quellen:

Meil­er, Oliv­er (2020): Warum Ital­ien so stark betrof­fen ist. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-italien-gruende‑1.4851458

Meis­ter, Mar­ti­na (2020): Den ältesten Patien­ten helfen sie nur noch beim Ster­ben. Online unter: https://www.welt.de/politik/ausland/plus206815855/Corona-in-Frankreich-Den-aeltesten-Patienten-helfen-sie-nur-noch-beim-Sterben.html

ORF (2020): Ungar­ns Par­la­ment fak­tisch ent­machtet. Online unter: https://orf.at/stories/3159914/

Spiegel (2020): In der Lom­bardei stapeln sich die Särge vor den Kre­ma­to­rien. Online unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krise-so-ist-es-in-italien-frankreich-den-usa-und-china-a-e959e762-0415–46fd-8504-bc476c93d93c

Sturm, Daniel Friedrich (2020): Trumps Pop­u­lar­ität steigt in Folge der Coro­na-Krise. Online unter: https://www.welt.de/politik/ausland/article206782569/Pandemie-Management-Trumps-Popularitaet-steigt-durch-Corona-Krise.html

Wiegel, Michaela (2020): Angst um die EU. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/corona-krise-in-frankreich-droht-das-ende-der-eu-16702221.html

Wiener Zeitung (2020): “Trumps Leug­nen war tödlich”. Online unter: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2055959-Trumps-Leugnen-war-toedlich.html

ZDF (2020): Korte: Die AfD ist Krisen­ver­lier­er. Online unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-politik-korte-100.html

Bild:

©Kon­stan­tin Schätz

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