Der Germanist Gert Kerschbaumer setzt sich seit Jahren mit Literatur der 20er und 30er Jahre auseinander. Durch das Projekt »Stolpersteine Salzburg« versucht er, Verfolgten des Nationalsozialismus ein Andenken zu schaffen.
Rund 470 goldene Steine sind in den Boden der Stadt Salzburg eingearbeitet. Und obwohl sie an Bedeutung kaum zu überbieten und durch die glänzende Oberfläche kaum zu übersehen sind, nimmt sich kaum jemand Zeit, zu lesen was sie zu erzählen haben. Jeder von diesen Stolpersteinen erinnert an ein Opfer des Nationalsozialismus und es gibt Menschen wie Gert Kerschbaumer, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Geschichte derer zu erzählen, die es selbst nicht konnten.
Der 75 Jährige hat nahezu jede der 310 Biografien selbstständig recherchiert und seit beginn des Pro-jekts keine Einzige vergessen. Denn das Zusammentragen der Information nimmt teilweise Jahre in Anspruch und wenn das verlorengegangene Schicksal eines Verfolgten wieder rekonstruiert werden konnte, lässt es einen meist nicht mehr los. Selbst wenn man wollte:
»Wir hören nicht auf. Das sind wir den Nachkommen schul-dig.«
Der studierte Germanist sieht sich dabei nicht als Historiker, sondern als ein pensionierter Deutschlehrer, der sich seit jeher mit historischer Literatur auseinandersetzt. Bücher wurden dem ledigen Kind von der Mutter seines Pflegevaters quasi in die Wiege gelegt. Denn bereits bevor er in die Schule ging, wurde ihm Lesen und Schreiben beigebracht. »In der Schule mussten wir nach Weihnachten immer die gelesenen Bücher mitnehmen. Ich hatte immer einen Stapel an Büchern dabei«, erinnert er sich mit einem Lächeln auf den Lippen.
Von der Germanistik zur Geschichte
Doch nicht das Lesen historischer Literatur, sondern das Publizieren wissenschaftlicher Werke zeichnen den Mann mit dem markanten Schnurrbart aus. 2004 erhielt er dafür den internationalen Preis für Wis-senschaft und Forschung von dem Kulturfond der Stadt Salzburg. Eine bedeutende Persönlichkeit der österreichischen Stadt also. Und dass, obschon Kerschbaumer in Spital am Semmering und dem drei Kilometer entfernten Steinhaus am Semmering aufgewachsen ist. Erst durch seinen Dienst beim Bundesheer kam der damals 18-Jährige nach Salzburg, wo er anschließend sein Germanistikstudium absolvierte und sich einen Namen machte.
Die atomisierte Gesellschaft
14 Jahre ist es jetzt her, seit er die Anfrage angenommen hat, den deutschen Künstler Gunter Demnig bei seinem Projekt Stolpersteine ehren-amtlich zu unterstützen. »Anfangs hab ich gedacht, ich mach da nur ein bisschen mit.« Doch das Projekt wurde im Laufe der Zeit zu einem Fulltimejob für den pensionierten Lehrer. Denn jedes recherchierte Schicksal ist mit aufwendiger Arbeit verbunden, bei der Kerschbaumer neben den Nachkommen, die ihm bei seiner Recherche häufig unterstützen, nur einen wirklichen Verbündeten hat. Das Internet.
Eine durchaus positive Entwicklung, die seiner Meinung nach das Schweigen um die Vergangenheit endgültig brechen kann. Und das ist auch unbedingt notwendig. Denn er verfolgt die derzeitigen Entwicklungen mit einer gewissen Beunruhigung und schreibt dabei nieder, welche Hürden den Initiatoren des Stolperstein-Pro-jekts in den Weg gelegt wurden: »Viele sind einfach orientierungslos. Wir sind eine atomisierte Gesellschaft, die es so vor 30, 40 Jahren nicht gab. Und genau da sehe ich das Gefahrenpotential.«
Quellen:
Neuhold, Thomas (2020): Salzburg verlegt 28 Stolpersteine für vertriebene oder ermordete Festspielkünstler. Online unter: https://www.derstandard.de/story/2000119422937/salzburg-verlegt-28-stolpersteine-fuer-vertriebene-oder-ermordetefestspielkuenstler (25.09.2020)
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