Im Jahr 2020 wurden weltweit über 50 Medienschaffende wegen oder bei ihrer Arbeit getötet. Nicht nur in weit entfernten Ländern wie Mexiko oder Indien werden Journalist*innen zur Zielscheibe. Auch in Europa wurden Medienschaffende für ihre Arbeit angegriffen und umgebracht.
Es ist Samstag, der 12. Dezember 2020. Der iranische Journalist Ruhollah Zam befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer Isolationszelle im Gefängnis von Karadsch, etwa 40 Kilometer westlich der Hauptstadt Teheran. Wie viele politische Gefangene wartet er hier auf seine Hinrichtung. Die Anklagepunkte: Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit, Spionage für den französischen Geheimdienst und vieles mehr. Es sind Vorwände, um einen regimekritischen Journalisten zum Schweigen zu bringen. Noch am selben Tag wird Zam einer Mitteilung der iranischen Justiz zufolge gehängt. Er wird nur 47 Jahre alt.
Bereits seit 2009 war Ruhollah Zam dem iranischen Regime ein Dorn im Auge. Damals berichtete er über den mutmaßlichen Betrug bei der Präsidentschaftswahl. Zam flüchtete daraufhin nach Frankreich, wo er in den vergangenen zehn Jahren unter Polizeischutz im Exil lebte. Doch selbst im Ausland war Zam eine bedeutsame Informationsquelle für viele Iraner*innen. Über seinen Telegram-Kanal namens „Amadnews“ dokumentierte er weiterhin die wichtigsten Geschehnisse im Land. Zudem kritisierte er öffentlich die iranische Regierung. Im Oktober 2019 wurde Zam schließlich unter einem Vorwand in den Nachbarstaat Irak gelockt, gekidnappt und in den Iran verschleppt. Im Juni 2020 folgte der Schauprozess, in dem der Blogger zum Tode verurteilt wird.
Ruhollah Zam ist einer von vielen
Ruhollah Zam ist laut Reporter ohne Grenzen (ROG) der erste Medienschaffende seit 30 Jahren, der offiziell durch die Todesstrafe ums Leben kam. Und doch ist er nur einer von mindestens 50 Journalist*innen, die im Jahr 2020 in Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden. So schreibt Reporter ohne Grenzen (ROG) in ihrer Jahresbilanz der Pressefreiheit 2020.
»Die weitaus meisten von ihnen wurden gezielt ermordet, weil sie zu heiklen Themen wie Korruption, organisiertem Verbrechen oder Umweltthemen recherchierten.« (Reporter ohne Grenzen)
In Zahlen bedeutet das: 42 Menschen, die in den letzten zwölf Monaten vorsätzlich aus dem Weg geräumt wurden – und dies zum Teil auf grausamste Art und Weise.
In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt 937 Menschen wegen oder bei ihrer journalistischen Tätigkeit getötet. Zwar sind die Zahlen seit einiger Zeit rückläufig, allerdings liegt das hauptsächlich daran, dass weniger Journalist*innen in Kriegs- und Krisengebieten umkommen. „Inzwischen zählen in erster Linie Länder, in denen offiziell Frieden herrscht, zu den weltweit gefährlichsten für Medienschaffende“, meint ROG. Konkret führen Mexiko, der Irak, Afghanistan sowie Indien und Pakistan weltweit die traurige Liste der Länder an, in denen Journalist*innen ermordert wurden. Alle dieser Länder befinden sich auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Positionen jenseits der 120 von 180.
Auch in Europa werden Journalist*innen angegriffen und umgebracht
Doch wer nun glaubt, derartige Vorfälle passieren nur in weit entfernten Ländern, der täuscht sich. Denn eigentlich reicht ein Blick über die nordöstlichen Landesgrenzen Österreichs hinaus. Im Februar 2018 gelangte eine kleine slowakische Gemeinde namens Veľká Mača in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Der Ort liegt etwa eineinhalb Autostunden von Wien entfernt. Dort wurden der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová ermordet. Kuciak hatte zuvor über diverse Korruptionsaffären berichtet und die Verbindungen slowakischer Politiker zu kriminellen Geschäftsmännern aufgedeckt. Der Todesschütze Miroslav M. wurde im April 2020 zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt. Im vergangenen Dezember wurde die Haftstrafe um zwei weitere Jahre verlängert. Die mutmaßlichen Drahtzieher*innen hinter diesem Mord, ein umstrittener Geschäftsmann namens Marian Kočner und die Dolmetscherin Alena Z., wurden allerdings freigesprochen. Ein Schlag ins Gesicht für die Hinterbliebenen der Getöteten und alle, die Gerechtigkeit für Kuciak und Kušnírová fordern.
Auch westliche Länder zeigen eine beunruhigende Entwicklung. In Deutschland wurden im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren doppelt so viele Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten verübt. Bundesweit wurden 252 Straftaten gegen “Medienschaffende” festgehalten, wie die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion bekanntgab.
Die Liste getöter Journalist*innen wird länger
Wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln werden, weiß wohl keiner. Tatsache ist, dass auch im noch jungen Jahr 2021 bereits ein Journalist getötet wurde. Tatsache ist ebenfalls, dass es an dieser Stelle noch so viel mehr zu erzählen gäbe. Über die Journalistin in Malta, Daphne Caruana Galizia, die durch eine Autobombe ums Leben kam, weil sie der Korruption in ihrem Land nachging. Über den Filmemacher in Ägypten, Shady Habash, der aufgrund eines satirischen, regimekritischen Videos verhaftet wurde und im Gefängnis starb. Er war 24 Jahre alt. Über den Kolumnisten, Jamal Khashoggi, der aufgrund seiner Kritik an Kronprinz Mohammed bin Salman von einem Spezialkommando im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde. Seine Leiche konnte bis heute nicht gefunden werden.
All diese Menschen hatten eines gemeinsam: Sie machten nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit. Sie nahmen die Ungerechtigkeiten in ihren Ländern nicht länger hin. Und sie erzählten den Menschen die Wahrheit. Genau das wurde ihnen zum Verhängnis – wie so vielen anderen auch.
Quelle:
Der Standard (2020): Slowakischer Journalistenmörder muss 25 Jahre ins Gefängnis. Online unter: https://www.derstandard.at/story/2000122175868/slowakischer-journalistenmoerder-muss-25-jahre-ins-gefaengnis
Flade, Florian/Steinke, Ronen (2021): Mehr als doppelt so viele Angriffe auf Journalisten. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/medien/pressefreiheit-deutschland-angriffe-demonstrationen‑1.5180187
Kitzler, Jan-Christoph (2020): Wie sich Malta nach dem Mord verändert haty. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/mordfall-daphne-caruana-galizia-wie-sich-malta-nach-dem.724.de.html?dram:article_id=471154
Krüger, Paul-Anton (2020): Empörung nach Hinrichtung eines Journalisten in Iran. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/iran-hinrichtung-journalist-ruhollah-zam‑1.5146391
Reporter ohne Grenzen (2020): Jahresbilanz der Pressefreiheit. Online unter: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Jahresbilanz/Jahresbilanz_der_Pressefreiheit_2020_Teil_2_RSF.pdf
Schätz, Konstantin (2020): Verstummte Stimmen in Ägypten. Online unter: https://filesmagazin.com/gesellschaft/verstummte-stimmen-in-aegypten/
Zeit Online (2020): Regierungskritischer Journalist Ruhollah Zam hingerichtet. Online unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020–12/iran-ruhollah-zam-hinrichtung-journalist-regierungskritiker