Zweite Welle? Dritte Welle? Das Coronavirus ist immer noch stark in den Medien vertreten, aber auch Teil unseres Alltags geworden. Das merkt man auch in den Schulen. Sofie Stahl ist Referendarin an einer Realschule und gewährt einen Einblick in ihr virtuelles Klassenzimmer. Eine Reportage.
Wie jeden Wochentag sitzt die angehende Lehrerin mit ihrem privaten Laptop, unzähligen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien an ihrem Esstisch. Es ist ihr Klassenzimmer. Ihr gegenüber liegen der Laptop und die Unterlagen ihres Ehemannes. Die beiden haben einen kleinen Beistelltisch an den Tisch gestellt, um die Arbeitsfläche zu erweitern. Der Anblick erinnert dabei an eine studentische Lerngruppe.
Zwei Minuten vor Unterrichtsstart finden sich die ersten Schüler*innen der 9. Klasse im virtuellen Klassenzimmer ein. Geografie steht auf dem Stundenplan. Um Punkt 8 Uhr ruft die 28-jährige Referendarin in die Runde: „Guten Morgen.“
Manche Schulen haben sich schon vor Corona mit digitalen Möglichkeiten beschäftigt
Seit Mitte Dezember sind die Schulen zum zweiten Mal landesweit geschlossen. Der Unterricht findet aufgrund von Corona digital statt. Für Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern ist das eine Herausforderung. Während manche Schulen und Lehrer*innen mit den digitalen Möglichkeiten überfordert sind, haben andere Schulen schon vor der Pandemie versucht, moderne Techniken in den Schulalltag zu integrieren. Bereits vor Corona hatte jede Schüler*in der Realschule in Arnstorf eine E‑Mail-Adresse und Zugang zu Google Classroom. Über den virtuellen „Classroom“ werden die Unterrichtsstunden abgehalten und die Hausaufgaben hochgeladen. Im Gegensatz zu den meisten Schulen fehlt es daher der Realschule in Arnstorf nicht an der nötigen technischen Infrastruktur. Laut einer Studie waren die größten Hindernisse fürs Homeschooling in NRW die fehlende Infrastruktur und Geräte.
Sofie unterrichtet Französisch und Geografie an der Realschule. Sie beginnt ihren Unterricht mit der Verbesserung eines Arbeitsblattes. Das Arbeitsblatt ist laut einer Studie auch im Fernunterricht das am häufigsten verwendete Aufgabenformat. Insgesamt 84 Prozent der befragten 1.031 Lehrkräfte gaben an, dieses Format während der Zeit der Schulschließung zu nutzen.
Eine Schülerin kommt zu spät in das virtuelle Klassenzimmer und fragt in die Runde, was überhaupt gerade gemacht wird. Die alte Ausrede, der Bus kam zu spät, funktioniert online natürlich nicht mehr.
Die Schüler*innen sollen heute und nächste Woche über die Plattform Bookcreator ein Buch gestalten. Über den Browser landen sie in einer virtuellen Bibliothek und können so ein eigenes Buch zum Thema „Nachhaltige Stadtentwicklung“ designen. „Das ist jetzt mal was anderes. Damit ihr nicht immer nur Arbeitsblätter bearbeiten müsst!“ sagt Sofie zum Abschluss der Stunde.
Sofies Ehemann Alex steht nach der ersten Unterrichtstunde auf. Er ist seit letztem März im Home-Office und beide arbeiten im Wohnzimmer. Da bedarf es einer täglichen kurzen Absprache bezüglich der Telefon-Konferenzen. Wenn gleichzeitig Termine stattfinden, dann muss einer im Schlafzimmer über die Kommode arbeiten. Durch Corona wird die Zwei-Zimmer Wohnung der beiden kleiner.
Lehrer*innen werden nicht entlastet
Andere Veränderungen verschärfen die Situation zusätzlich. Sofie erninnert sich zurück: Anfang Januar sei sie von einem Schüler gefragt worden, weshalb die Faschingsferien gestrichen wurden. Sofie wusste darauf keine Antwort. Auch sie hätte die Pause über die Ferien gut gebrauchen können.
Die Absage der Faschingsferien in Bayern stieß sowohl bei Schüler*innen als auch bei Lehrkräften auf viel Kritik. „Es heißt immer die Schüler sollen entlastet werden, aber bei den Lehrern fragt nie jemand nach, wie man die entlasten kann. Die Bücher, die Schüler eigenständig erstellen sollen, sind natürlich eine Abwechslung für die Schüler, aber sie dienen auch für mich zur Entlastung.“ Die Staatsregierung verteidigt hingegen den Entschluss: „Bei der Rückkehr in den Präsenzunterricht ist jede Woche wichtig. Es gehe um faire Bedingungen für alle Schüler”
Um 10:30 Uhr folgt dann die nächste Stunde Geografie der 9. Klasse. Zwei Minuten davor ist diesmal noch niemand da. Nach und nach trudeln die Schüler*innen ein. Zunächst wird ein Arbeitsblatt zum Thema Boswash, einer Megalopolis in den Vereinigten Staaten, besprochen. Der Name kommt von den Städten an beiden Endpunkten, Boston und Washington. Sofie liest die erste Frage „Was bedeutet der Begriff Boswash?“ vor. Keine Antwort, niemand meldet sich. Es kommt öfter vor, dass sich niemand freiwillig meldet oder antwortet. „Wenn ich dann jemanden aufrufe, kann es auch mal vorkommen, dass niemand antwortet. Viele behaupten auch, dass sie gar kein Mikro haben. Manche schreiben dann die Antworten in den Chat.“
Auch wenn die Unterrichtstunden größtenteils frontal ablaufen, hat Sofie generell aber keine Probleme damit, ihre Schüler*innen zu erreichen, wie manch andere. Laut einer repräsentativen Umfrage der Robert Bosch Stiftung sagen 37 Prozent der befragten Lehrer*innen, dass sie mit „weniger als der Hälfte” oder sogar nur mit „sehr wenigen Schülerinnen und Schülern” regelmäßigen Kontakt haben.
In der nächsten Stunde Geografie sind die Schüler*innen wesentlich aktiver. „Generell gilt, Schüler machen online auch nicht mehr, wenn sie offline zuvor auch nicht engagiert waren. Die Vernünftigen, die auch offline schon häufig mitgearbeitet haben, sind auch online aktiver.“
Diesmal haben sogar alle Schüler*innen die Kamera eingeschaltet, was sonst eher selten vorkommt. „Schön euch alle mal wieder zu sehen“ ruft Sofie in die virtuelle Runde. Eine Schülerin fragt, ob Sofie schon die aktuelle Folge „Germanys next Topmodel“ gesehen haben. „Bitte nicht spoilern!“ ruft eine andere Schülerin.
Homeschooling — eine Herausforderung im Referendariat
Sofie ist im zweiten Referendariats Jahr und hat bereits zwei Offline Lehrproben gemeistert. Die Lehrproben sind Teil der Ausbildung zum Lehrer bzw. zur Lehrerin. Dabei sollen die Fähigkeiten zum Unterrichten unter Beweis gestellt werden. Der dritten und letzten Lehrprobe sieht Sofie skeptisch gegenüber: „Gerade bei der dritten Lehrprobe wird viel von einem erwartet. Da habe ich schon das Gefühl, dass mir da Erfahrung fehlt durch den virtuellen Unterricht. Nicht unbedingt die Erfahrung für den Frontal-Unterricht, aber Erfahrung für verschiedene Methoden. Das Referendariat ist auch zum Ausprobieren da und das fehlt mir online dann“ Andererseits sieht sie es auch positiv: „Jedoch ist man durch den Digitalisierungsaspekt trotzdem auch gut für die Zukunft vorbereitet. Bei zukünftigen Bewerbungen kann man das dann natürlich auch angeben, dass man damit schon Erfahrung hat.“
Um 12:15 Uhr ist dann die letzte Stunde für heute. Sofie fordert einen Schüler auf, mit der Verbesserung des Arbeitsblattes zu beginnen. Der Schüler muss allerdings noch kurz seinen Ordner suchen, und fragt, um welche Aufgabe es überhaupt geht.
„Es ist schwierig, man sieht nicht, was die Schüler nebenbei machen. Man sieht nicht, wie weit die Schüler gerade sind.“ Die Geduld, die das Home-Schooling erfordert, bringt Sofie in jedem Fall mit. Die notwendige Ausstattung ist jedoch essenziell.
Um 12:45 Uhr ist dann am Freitag nach sechs Schulstunden, nach vier virtuellen Bibliotheks-Besuchen, nach einigen Arbeitsblatt-Korrekturen vorerst Feierabend. Die Schulmaterialien werden zur Seite geräumt, der Esstisch erhält wieder seine ursprüngliche Funktion.
Quellen:
Anders, Florentine (2020): Erstmals repräsentative Daten zum Fernunterricht. Online unter: https://deutsches-schulportal.de/unterricht/das-deutsche-schulbarometer-spezial-corona-krise/
Robert Bosch Stiftung (2020): Das Deutsche Schulbarometer: Coronakrise zeigt Nachholbedarf bei digitalen Lernformaten. Online unter: https://www.bosch-stiftung.de/de/news/das-deutsche-schulbarometer-coronakrise-zeigt-nachholbedarf-bei-digitalen-lernformaten
Süddeutsche Zeitung (2021): Staatsregierung verteidigt Streichung der Faschingsferien. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/landtag-muenchen-staatsregierung-verteidigt-streichung-der-faschingsferien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101–210204-99–304389
WDR (2020): Umfragen zur Digitalisierung an Schulen- unter Schulleiter*innen und Schüler*innen in NRW. Online unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/factsheetpdf100.pdf
Weiterlesen:
Scheugenpflug, Maximilian (2020): Bildung in Quarantäne. Online unter: https://filesmagazin.com/bildung/bildung-in-quarantaene/
Bild: