Damit eine Demokratie funktioniert, muss eine Gesellschaft ihren Institutionen und den Wahlprozessen vertrauen. Zwei Wahlen aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, was mit einer Gesellschaft passiert, wenn das politische System untergraben wird. Eine Analyse.
Es sind Bilder, die vor kurzem noch undenkbar schienen. Tausende Bürgerinnen und Bürger befürchten Betrug in Bezug auf die stattgefundene Präsidentschaftswahl. Sie gehen regelmäßig auf die Straßen und demonstrieren. Sie rufen „Fake Electiones“ und fordern Veränderungen in ihrem Land. Seit der Präsidentenwahl in Belarus kommt es regelmäßig zu Protesten gegen den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko. Im August 2020 wurde Lukaschenko von der Wahlkommission offiziell zum Sieger erklärt. Die Opposition erkannte das Wahlergebnis jedoch nicht an.
Nur wenige Monate später protestieren wieder frustrierte Bürgerinnen und Bürger gegen die aktuellen Wahlergebnisse. Sie machen auf die ihrer Meinung nach sabotierte Wahl aufmerksam. Viele sind verzweifelt. Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie sehen das als einzige Möglichkeit, gehört zu werden. Die Demonstrationen heizen sich so weit auf, dass einige Demonstrierende sogar das Gebäude stürmen, das wie kaum ein anderes für die Demokratie im Land steht: das Kapitol. Sie behaupten, dass ihnen „die Wahl gestohlen wurde“. So zumindest wird es ihnen vom mittlerweile ehemaligen Präsidenten der USA, Donald Trump, gesagt.
Zwei unterschiedliche Länder mit dem selben Problem
In Belarus wird der staatliche Rundfunk in erster Linie als Propagandawerkzeug der Regierung verwendet. Wahlbetrug hat laut diesen dementsprechend nicht stattgefunden. Kritische Berichterstattung über den Präsidenten und die Regierung kann mit harten Strafen geahndet werden. Es gibt daher nur wenige unabhängige Medien. Weißrussland belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit Rang 153 von 180.
In den USA hingegen berichtete der Großteil der Medien von einer rechtmäßig stattgefundenen Wahl. Lediglich wenige Medien, wie der US-Sender Fox News und die rechte Propaganda Webseite Breitbart News, haben die Verschwörungserzählungen von Donald Trump über mögliche Wahlmanipulationen übernommen. Demnach vertrauen die Demonstrantinnen und Demonstranten in beiden Ländern eher den Mindermeinungen. In Weißrussland sind das die Oppositionellen und die wenigen unabhängigen Medien. In den USA ist das der ehemalige Präsident Donald Trump und dessen „Staatsfernsehen“.
Wo liegt der Unterschied zwischen den Fällen?
In Weißrussland gehen nicht nur die Opposition und deren Anhänger von Wahlbetrug aus. Auch unabhängige Instanzen sehen Missstände. Wahlbeobachtungsorganisationen müssen gemäß sozialwissenschaftlichen Maßstäben über mehrere Wochen Beobachtungsmissionen in den betroffenen Ländern durchführen. Berichten der Tagesschau zufolge wurde die Einladung der Regierung unter Lukaschenko so spät aus Minsk abgeschickt, dass nach Aussagen von ODIHR (Menschenrechtsinstitution der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE) eine sinnvolle Mission nicht mehr durchzuführen war.
Zudem wurden lokale Wahlbeobachter nach Medienberichten aus Belarus teils schon im Vorfeld massiv unter Druck gesetzt. Die OSZE empfiehlt daher, die umstrittene Präsidentenwahl zu annullieren. Zudem erkennt das EU-Parlament Lukaschenko nicht als Präsident an. Auch unabhängige westliche Medien berichten von nicht-rechtmäßig stattgefundenen Wahlen.
Wahlbeobachter spielen eine wichtige Rolle
In den USA haben weder unabhängige Wahlbeobachter noch Qualitätsmedien den Wahlbetrug bestätigt. Vielmehr sind es die Aussagen von einem populistischen Präsidenten und dessen Anhänger, dem viele Demonstrierende Gehör schenken.
Das verdeutlicht, warum unabhängige Instanzen, wie beispielsweise Wahlbeobachter, eine fundamentale gesellschaftliche Rolle übernehmen. Wahlbeobachter sind unabhängige Personen, die eine Wahl auf ihre rechtmäßige Durchführung im demokratischen Sinne hin überprüfen. Ohne gerechte Wahlen gäbe es auch keine funktionierende Demokratie.
Die Rolle der Medien
Ein weiterer wichtiger Bestandteil jeder Demokratie sind freie Medien. Unabhängige Qualitätsmedien sind in Zeiten, in denen durch Social-Media-Kanäle quasi jeder zum Sender werden kann, wichtiger denn je. Denn wenn den Aussagen auf Twitter mehr Beachtung geschenkt wird als herkömmlichen unabhängigen Medien, dann kann das (wie man gesehen hat) mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington enden.
Unabhängige Medien müssen objektiv und frei von jeglichem politischem Einfluss berichten. Der staatliche Rundfunk in Belarus informiert die Bevölkerung weder objektiv noch frei von politischen Interessen. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich beide Länder wieder auf die demokratischen Grundpfeiler besinnen können.
Quellen:
Stöber, Silvia (2020): Belarus — Wie glaubwürdig ist das Wahlergebnis? Online unter: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/wahlergebnisse-korrektheit-kriterien-belarus-101.html
Reportern ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit. Online unter: https://www.rog.at/wp-content/uploads/2020/04/Rangliste-der-Pressefreiheit-2020-RSF.pdf
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